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8 1/2 – Ein Film über die Entstehung eines Films. Ein Film, der sich quasi aus sich selbst heraus gebar. Ein Film über einen Regisseur mit „Schreibblockade“ und Midlife Crisis, die sich gegenseitig durchdringen, bedingen und sich letztendlich wieder scheinbar befreien.

Nachdem Fellini 1960 den Oscar für La Dolce Vita erhalten hatte, galt er als internationaler Star des intellektuellen Kinos, als Visionär seiner Zunft und großer Auteur des kunstvollen Films. Alle lagen ihm zu Füßen und so sollte sein nächstes Projekt nicht lange auf sich warten lassen. Es gab einen Drehbuchentwurf von Fellini, das Geld war da, die Schauspieler waren gecastet und selbst Settings für den Film wurden schon gebaut.

Innerlich verwarf aber Fellini sein eigenes Drehbuch und seine Geschichte über den Schriftsteller Guido Anselmi wieder, da er keine innere Verbindung mehr dazu aufbauen konnte. Ihn ereilte eine Leere, eine Blockade, die immer schlimmer wurde je länger der Regisseur diese für sich behielt, trotz der laufenden Planung nicht wusste, was er erzählen wollte und ihm immer mehr Vertrauen als Starregisseur in der Vorbereitung von Produzenten, Co-Autoren, Schauspielern und dem restlichen Team entgegengebracht wurde, die nicht wussten, dass sich ihr Meister gerade in einer tiefen Schaffenskrise befand.

Aus dieser konnte sich Fellini letztendlich nur befreien, in dem er seine eigene Krise selbstreflexiv zum Thema seines neuen Filmes machte. Guido der Schriftsteller wurde zu Guido dem Regisseur, der sich nach seinem letzten Hit auf eine Art Kur zurückzieht, aber begleitet wird von Filmcrew und Cast, die alle nur darauf warten, dass er den Startschuss zum Drehbeginn gibt. Endlos wird von allen über den Film diskutiert, der angeblich aus Science Fiction Anleihen, einem Kommentar auf den Katholizismus und eigenen autobiografischen Ersatzstücken Guidos bestehen soll, obwohl dieser noch keinen blassen Schimmer hat, was er eigentlich erschaffen möchte.

Unter dem Druck und den großen Erwartungshaltungen holen Guido eigene Kindheitserinnerungen ein und er verliert sich in Traumsequenzen, die andeuten, wie sein Film aussehen könnte. Der Zuschauer erlebt diese inneren Visionen als Ausdruck  von Ideen und Hoffnung bezüglich der Realisierung des eigenen künstlerischen Vorhabens und erinnerten Fragmenten aus der Kindheit.

Die Tragik der inneren Leere des Künstlers spiegelt sich in der Leere zu  Guidos unterschiedlichen Frauenbeziehungen wieder. Er spielt mit seiner Geliebten Carla und durchlebt mit dieser oberflächlichen Romanze in Rollenspielen eigene sexuelle Phantasien; er bittet seine langjährige Frau Luisa in aller Zärtlichkeit, ihn auf dem Set zu besuchen, wobei sich im weiteren Verlauf der Handlung zeigt, dass selbst in einer sehr engen Partnerschaft nicht gewährleistet ist, dass man den anderen besser versteht je länger man ihn kennt; er projeziert die Rettung seines Seelenheils auf die engelsgleich inszenierte Schauspielerin Claudia.

Ständig umgeben von Menschen, die jeden Schritt beobachten, kommentieren und die Kreise mit jedem weiterem Tag, der vergeht, enger werden lassen, zieht sich Guido immer tiefer und verzweifelter in seine Traum- und Gedankenwelt zurück und beantwortet die psychische und physische Belastungen manchmal mit skurrilen Übersprungs-Handlungen, die ihn aus der Ernsthaftigkeit der Situation für wenige Sekunden entfliehen lassen. In meinem Leben werde ich nicht mehr vergessen wie Guido, der von dem wundervollen Marcello Mastroianni gespielt wird, durch den Hotelflur läuft, dabei am pfeifen ist und in einen kurzen Steppschritt verfällt, der ihn von der Schwere der Situation zu befreien scheint. Der Film ist wie der Versuch eines Lächelns während einem die Faust im Nacken sitzt. Das macht ihn zutiefst menschlich, fühlbar, emotional und persönlich.

Der Traum am Anfang des Filmes, in dem wir Guido eingesperrt  in seinem Auto in einem durch Stau vollgestopften Tunnel erleben, aus dem er sich quasi fliegend befreien kann, nimmt die Gegensätze von Gefangensein und dem Wunsch nach Freiheit vorweg. Der Flug endet als eine Art menschlicher Ballon am Seil, der über dem Strand schwebt und durch einen Mitglied der Filmcrew beendet wird, worauf der freie Fall und Absturz folgt. Ein Kommentar auf die Möglichkeit von persönlicher und künstlerischer Freiheit in einem engmaschigen Netz aus unterschiedlichen Beziehungen und den Zwängen des Arbeitens in einem Studiosystems.

Ein Gefühl von Leichtigkeit erzielt der Film durch die perfekte Kameraführung von Gianni Di Venanzo, die wie im Fluss aus dem Moment heraus völlig harmonisch in eine Traumsequenz gleitet, uns mitnimmt in die erinnerte Vergangenheit des Regisseurs und uns wieder zurückführt ins gegenwärtige Geschehen. Die Schwarz-Weiß Kompositionen verleihen dem Film  ein so kunstvolles und schönes Aussehen, dass man das Gefühl hat zu jeder Zeit die Stopp-Taste drücken zu können und sich einem Gemälde gegenüber zu finden. Das ganze wird untermalt von dem fantastischen Soundtrack von Nino Rota.

Letztendlich gelingt es Fellini / Guido nur durch das Abtauchen in die eigenen Träume und Erinnerungen, sein kreatives Potential wieder zu beleben und der Film endet, in dem er die komplette Filmcrew mit Flüstertüte in der Hand auf den Rand einer Manege dirigiert und sie zu den Klängen einer Marschkapelle von Clowns, die von ihm selbst als kleinem Jungen angeführt wird, im Kreis tanzen lässt, in den er sich als Regisseur dann selber einreiht. Am Ende fallen Traum, Erinnerung und Wirklichkeit spielerisch ins sich zusammen und ergeben eine Einheit. Mein Leben ist der Film, der Film ist mein Leben.

Einer der großen Klassiker von einem der großen Regisseure aus dem letzten Jahrhundert.

P.S.: In Nachhinein ist mir als Vergleich Synechdoche, New York eingefallen, der ebenso spielerisch große Fragen des Lebens verhandelt und unterschiedlichen Wirklichkeitsebenen ineinander fließen lässt.
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