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Zitiert von Lampedusa in HH:

Offener Brief der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ an den Senat der Stadt Hamburg und Erneuerung unseres Gesprächsangebots

Sehr geehrter Herr Scholz, sehr geehrter Herr Neumann,

Nicht wir, die Menschen der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ verstecken unsere Identität, sondern die europäischen Regierungen verstecken sich vor der Verantwortung, sich der Realität zu stellen.

Am 1. Mai 2013 sind wir, die libyschen Kriegsflüchtlinge, in Hamburg in die Öffentlichkeit getreten und haben die Zusammenhänge, warum wir in Hamburg sind, sichtbar gemacht. Wir haben auch deutlich gemacht, warum für die Umsetzung unseres durch Italien anerkannten Flüchtlingsstatus die gesamte Europäische Union und eben auch Hamburg verantwortlich ist.

Wir haben um Gespräche mit Ihnen, der Hamburger Regierung, zur Findung einer politischen Lösung für unsere traumatische und rechtlose Lage gebeten. Sie haben nicht das Gespräch mit uns gesucht, sondern sich hinter einem Gesetz versteckt, welches für uns eine Bedrohung unserer Leben ist. Sie haben, unsere Lebensrealität ignorierend, die Rückführung nach Italien als einzige (gesetzliche) Möglichkeit dargestellt und ignorieren dabei die gefährliche Situation, in der sich Flüchtlinge dort wiederfinden.

Gruppe Lampedusa

Gespräche mit uns haben nicht stattgefunden. Deshalb sind wir am 22. Mai ins Rathaus marschiert, um das Gespräch zu fordern ohne dies zu erreichen. Dafür nahmen uns die Medien und die Öffentlichkeit stärker wahr. Viele Menschen haben uns kennengelernt. Wir stehen seit fast sechs Monaten in der Hamburger Öffentlichkeit, wir sind jeden Tag an unserem Protest- und Informationszelt am Steindamm, wir sprechen mit den Bürgern und Bürgerinnen der Stadt und ebenso mit den vielen Touristen in Hamburg. Menschenrechtsvertreter, Priester und Imame, Lehrerinnen und Schüler und auch EU-Parlamentarier und Bundestagsabgeordnete haben uns besucht. Wir stehen mit unseren Namen und unseren Geschichten in den Medien. Wir treten mit offenem Gesicht für unsere Rechte ein und wir melden Versammlungen an.

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Wir sind nicht grundsätzlich dagegen, unsere Papieren den Behörden auszuhändigen, sodass Recht geltend gemacht werden kann. Angesichts der Ablehnung jeglicher Annäherung und Offenheit für unsere existenzielle Not, befürchten wir jedoch, dass Sie lediglich unsere unmenschliche Abschiebung vorbereiten wollen. In unserer verzweifelten Lage, müssen wir wissen was passieren wird, wenn wir unser Leben den Behörden anvertrauen. Wir wissen nicht was Sie vor haben und haben Angst davor, dass die europäische Politik unser Leben ein weiteres Mal zerstört.

Wir erinnern uns an das einzige Gespräch mit einer Vertreterin der Sozialbehörde und einem Vertreter des Flüchtlingszentrums, das in unserem Zelt stattgefunden hat, als aus der Bevölkerung, den Kirchen und den Moscheen bereits humanitäre Nothilfe geleistet wurde und wir zumindest im Trockenen schlafen konnten. Es wurde uns gesagt, dass es in Hamburg keine freien Unterkünfte gäbe, dass die Situation sehr schwierig sei, dass man sich aber bemühen würde. Wir sollten zunächst erst einmal eine Liste mit unseren Namen einreichen. Wenn etwas gefunden würde, könnten wir uns von den Wochen des Lebens auf den nassen und kalten Straßen etwas erholen, um uns auf die Rückreise nach Italien vorzubereiten. Hieran scheiterten die ersten Verhandlungen zwischen der Nordkirche und Ihnen.

Sie suchten kein weiteres Gespräch mit uns. In der Öffentlichkeit sagten Sie, es gäbe für Hamburg keinen Handlungsspielraum.

Wir haben zusammen mit unseren Rechtsanwältinnen in einer Pressekonferenz, dargelegt, dass Hamburg sehr wohl rechtliche Möglichkeiten hat. Geradezu beispielhaft für unsere gemeinsame Flucht- und Lebensgeschichte beginnend von der Eskalation des Krieges in Libyen im März 2011, steht der Paragraph 23 des Aufenthaltsgesetzes. Dieser Paragraph wurde geschaffen, um aufwendige und langandauernde Einzelverfahren für eine größere Anzahl Personen, die alle gleichen Kriterien entsprechen, zu vermeiden. Die Anwendungsmöglichkeit liegt im Ermessen der jeweiligen Landesregierung im Einvernehmen mit dem Bundesinnenminister.

Mit Verweis auf die sichere Ablehnung durch das Bundesinnenministerium lehnten Sie diese Möglichkeit ab. Dieses wies jedoch mehrfach auf Hamburgs Souveränität in der Sache hin – zunächst in Antwort auf eine Anfrage im Bundestag, dann in den Antwortschreiben an Zeichner der Petition und zuletzt durch den Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung.

Da Sie dem Vorschlag der Anwendung des Paragraphen 23 nicht aufgreifen wollten, versuchte die Nordkirche erneute Gespräche in Richtung einer Lösung. Ergebnis war, dass unsere Rechtsanwälte zusammen mit Fluchtpunkt auf Ihren Vorschlag hin, anonymisierte Musteranträge einreichten. Wir entschieden zusätzlich, einen Antrag namentlich durch eine Person aus unserem Kreis zu stellen. Alle Anträge stehen stellvertretend für alle von uns. Ihre Behörde lehnte alle Anträge ab. Die in den Anträgen inhaltlich vorgetragenen Gründe wurden mit Ausführungen über die Gesetzeslage beantwortet. Der zweite Vermittlungsversuch der Nordkirche war gescheitert.

Wir haben weiter im Licht der Öffentlichkeit gestanden und die Unterstützung und das Verständnis für uns sind stetig gewachsen. Diskussionen und Gespräche drehten sich darum, wie eine politische Lösung erreicht werden kann.

In diesem Moment – und noch während des frischen Schmerzes über die jüngsten Toten vor Lampedusa – setzen Sie eine Polizeioperation gegen uns, die Überlebenden des Kriegs und der Flucht nach Lampedusa, in Gang, die die Welt schockiert.

In dieser Polizeioperationen sind zahlreiche Rechtswidrigkeiten und Rechtsbeugungen vorgekommen. In der emotional aufgewühlten Öffentlichkeit versuchen Sie diese Maßnahmen zu rechtfertigen, in dem Sie uns und unsere Situation sowie unseren Status falsch darstellen. Deshalb die Klarstellung:

Wir sind Inhaber gültiger Ausweisdokumente – was auch die gesamte Polizeioperation rechtlich in Frage stellt.

Wir verdecken nicht unsere Identität, wir sind eine der präsentesten und öffentlichsten Gruppen von Menschen in dieser Stadt.

Wir stellen keine Asylanträge, weil wir das Procedere bereits in Italien durchlaufen haben. Weshalb ein erneutes Verfahren nicht nur unnötig ist, es macht auch rechtlich keinen Sinn.

Unser Erscheinen in der Stadt hat einen Grund, den wir nicht verursacht oder verschuldet haben. Warum viele Menschen in Hamburg sich an unsere Seite gestellt haben, hat auch einen Grund. Diesen haben wir mit verursacht. Wir haben immer erklärt, woher wir gekommen sind, warum wir gekommen sind, dass wir bleiben und warum wir bleiben. In diesem Kampf sind wir mit bösartigen Beschuldigungen und schwerer Repression konfrontiert, doch wir glauben, dass unser Kampf gerecht ist.

Ein Problem, welches so komplex und sensibel ist wie das unsere, kann nicht mit dem Vorschlaghammer gelöst werden. Konstruktive Gespräche zwischen uns, den Betroffenen und Ihnen, den verantwortlichen Repräsentanten dieser Stadt, wären ein Ausweg aus der Spirale der Eskalation, die derzeit die Stadt Hamburg ergriffen hat. Wir, die Gruppe „Lampedusa in Hamburg“, haben immer unsere Gesprächsbereitschaft signalisiert und erneuern unser Gesprächsangebot in aller Deutlichkeit ein weiteres Mal. Unsere Telefonnummern und die Telefonnummern unserer Anwälte sind Ihnen bekannt.

Mit freundlichen Grüßen,

Affo Tchassei (Tel. 0176-717 402 36)

Asuquo Udo (Tel. 0152-146 725 37)

Anane Kofi Mark (Tel. 0152-170 045 94)

Friday Emitola (Tel. 0152-170 052 71)

als Sprecher der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“

Hier finden Sie den Offenen Brief als PDF-Datei