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Wird mein Musikgeschmack zum Actionable Insight? Und will ich im Jahr der DGSVO meinen Algorithmus zum Tanz auffordern?

Erstaunt, (peinlich-)berührt und mit wachsender Neugier scrolle ich durch die Spotify-Playlist Your Top Songs 2018. Laut Spotify sind diese 100 Lieder mein ganz eigener Soundtrack für das vergangene Jahr.

Gemischte Gefühle: Auf den ersten Blick sind das alles Songs, die ich höre oder gehört habe. Aber ich bin mir nicht sicher, ob mir musikalisch gefällt, was ich sehe. Die zweite Frage lautet, was verrät mein musikalischer Fußabdruck über mich? Sag mir, was du hörst und ich sag dir, wer du bist.

Erstes Indiz, dass es sich um mehr als eine quantitative Auswertung meines Hörverhaltens handeln muss, ist das fehlen von J.Lo. Die immer noch gleiche Jenny aus der Nachbarschaft, führt meine fast täglich bemühte Playlists Run Nora Run an. Ebenso fehlt Kanyes Good Morning. Ich versuche mich im Algorithmus zu bewegen. Zuerst freestyle ich aus meinem Gedächtnis, welche Interpreten fehlen mir – Bilderbuch, Solange, Bootsy Collins, halt, wo sind die Beginner? Und wenn schon meine gesamte Sport-Playlist versammelt ist, wo ist dann Drake? Was stimmt nicht mit dir, Algorithmus, hörst du überhaupt richtig zu?

Nächster Versuch, die Retrospektive: 2018 hat in meiner selbstverordneten musikalischen Schweigezeit begonnen. Aus Gründen hatte ich sämtliche Lyrics über Monate verbannt, ausschließlich instrumentale Stücke gehört – viel Techno, viel Klassik, Soundtracks, viel episches Zeug. War gut. Davon sind in der Playlist jetzt nur ein paar wenige Stücke von Max Richter übrig. Es sieht so aus, als würde ich manisch Beyonce hören. Ich liebe sie, aber dem ist nicht so! Meine Analyse wechselt in den Content-Modus. Welche Themen habe wir hier? Money von Michael Jackson, Swim von Her, Work von Diddy. Entlarven sie mich als Werbemädchen mit ausgeprägtem Hustler-Gen? Halt, stop: Benjamins von CVIRO fehlt. Jetzt zweifle ich endgültig am Datensammler. Come on, es gibt keinen besseren Song über den (Stellen-)Wert von Geld. It´s not about love, not about trust, it´s all about the Benjamins, Baby.

Die Zwischensumme aller Interpretationsversuche lautet: Mein Algorithmus kann das objektive Musikverständnis nicht durchdringen. Ein Song wird nicht von allen Ohren, Mensch oder Maschine, gleich verstanden, gefühlt. Und somit, auch nicht gleich gehört. Wiedererwartend liefert jetzt meine Playlist den Beweis mit der multitalentierten Funkband Scary Pockets. Ihre Coverversion von I can´t make you love me verkörpert für mich pures Glück. Die 2011er Version von Bon Iver ist dagegen für mich… Das ist eine andere Geschichte.

Ich scrolle auf der Suche nach Antworten. Brandys Have you ever aus ’98 erinnert mich an den ersten personalisierten Jahresrückblick von Myspace.com. „Gott, ist das schlecht.“ denke ich damals. Ungeniert gebe ich alles preis, was abgefragt wird. Als ich den Account zwei Jahre später platt mache, habe ich über 20 Fotoalben voll mit sehr persönlichem Kram. Mir wird ganz schlecht, wenn ich daran denke, wie naiv ich war.

Muss ich davon ausgehen, dass auch mein Algorithmus dazugelernt hat, dass er erfahrener geworden ist. Weiß er welche Daten gut und welche schlecht sind? Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen – gibt es den Aschenbrödel-Algorithmus? Noch sehe ich dafür keinen Beweis, eher das Gegenteil. Mein letzter Versuch, der nüchterne Blick auf die schwedische Kuration. Was sieht ein Fremder? Einen Flickenteppich aus Musikgenres, Tiefe und Oberflächlichkeit, Meditation und Konsum, schlicht Schizophrenie. Wie passt Beyonce mit Rey & Kjaviks Techno-Mönch zusammen? (Mmmh, wie ich ihn liebe, diesen Mann.) Ich werde nicht schlauer, eher verwirrter. Wer bin ich, und wenn ja, auf wie vielen Dancefoors?

Falls ich mich total irre, der Algorithmus eigentlich super klug ist, und die Werbung für die Meditations-App Headspace das Ergebnis, also der Actionable Insight, auf diese geisteskranke Playlist ist, entschuldige ich mich und habe nichts gesagt.

Natürlich fehlen auch die Zwischentöne von physischen Datenträgern und anderen Streaming Diensten. Doch, wäre die Playlist ein Drink, würde selbst der stärkste Wikinger diese abartige Mische nicht runterbekommen.

Und zum Thema gläserner Mensch, sag ich, dass diesen Soundtrack nur verstehen kann, wer den ganzen Film gesehen hat. Ein innerliches Grinsen macht sich auf den Weg, ich habe einen Song entdeckt . Achtung, Spoiler: Dieser heiße Sommer. Ich nachts auf dem Fahrrad, wie ich ich viel zu schnell über den Großneumarkt fahre und Justin singt: I don‘t like it. I love it. Aber das ist jetzt wirklich eine andere Geschichte.

Noras Spotify Top 100 Playlist 2018

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Vielen Dank Nora

Titelfoto: Markus Spiske